Thomas Heyl | Bilder

Katalog Bilder 2023

Heyl Katalog Bilder 2023Thomas Heyl – Schnittstellen zwischen Form und Raum

Mit ebenso expressiver Dynamik wie klarer Präzision erkundet Thomas Heyl in seinen Scherenschnitten und Malereien das spannungsreiche Wechselspiel zwischen Form und Fläche, Material und Raum. Schichtungen und Durchdringungen von geschnittenen Formelementen und gemalten Farbflächen prägen den gestalterischen Ansatz. Dabei agiert er in unterschiedlichen Medien, die sich gleichwohl ergänzen und gegenseitig steigern: dem sogenannten Scherenschnitt, ausgeführt mit dem Cutter und auch manuell in Papier, und der Malerei mit Pinsel und Farbe, wobei auch hier Papier als Bildträger fungiert.

Auf dem Aktionsfeld der Papierschnitte erzielt Heyl mit außergewöhnlicher, virtuoser Technik verblüffende Wirkungen zwischen strenger Form, transparenter Fläche und raffinierter Räumlichkeit: in das lichte Grau und tiefe Schwarz sowie in die strahlende Farbigkeit der mit Rußpigmenten sowie Acryl- und Aquarellfarben bemalten Oberflächen der Transparentpapiere schneidet und reisst Heyl geometrisch-exakte oder freie, organisch-bewegte Formgebilde. Diese herausgelösten Konturformen, die gewissermaßen als Fehlstellen zu verstehen sind, erzeugen wiederum neue Vorstellungen, die an der Schwelle zur Dreidimensionalität ganz wesentlich in die Bildaussage eingreifen. Durch die gezielte Präsentation der Blätter sowohl ohne Rahmen freihängend vor der Wandfläche als auch gerahmt mit gewissem Abstand zur Glasscheibe wird das kalkulierte Spiel mit Lichtkanten und Schattenwürfen zu einem wichtigen Teil der Bildwirkung. Neben den harten Schwarz-Weiß-Kontrasten und dezenten Schattenbildungen ergeben sich so zugleich komplexe Reliefwirkungen sowie überraschende optische und reale Bildräumlichkeiten. Auch betont die offene Hängung der Blätter den besonderen, objekthaften Materialcharakter der Arbeiten.

Fragile Transparenz, malerische Lebendigkeit und expressive Verdichtung, ein stetiges Davor und Dahinter von hell aufscheinenden Konturflächen und gestischen Linienspuren, bestimmen den experimentierfreudigen Ausdruck der Papierschnitte. Je nachdem, ob Heyl die „leeren“ Freiflächen sorgsam herausschneidet oder in einem manuellen Schaffensakt herausreisst variieren die Kantenverläufe zwischen scharfer Eindeutigkeit und diffuser Fasrigkeit und tragen die sinnliche Haptik des Werkstoffes Papier mit ins Bildgeschehen. Indem bei den herausgeschnittenen Freiflächen nun das Weiß des neutralen Hintergrundes hervorleuchtet, tritt paradoxerweise das Weggenommene, das nicht mehr Vorhandene, als markante Bildfigur in den Vordergrund und gewinnt eine irritierende, dem Betrachter entgegendrängende Präsenz.

 

Ein vielschichtiges Spiel mit Bild- und Wahrnehmungsebenen treibt Heyl ebenso in seinen Malereien. Dort agiert er mit verschiedenen Farbpigmenten, die mittels Pinsel, häufig aber auch Pinselstiel oder Fingern in einem lebhaft bewegten, spontan anmutenden Malprozess auf das Papier gebracht werden. Durchdringungen und Überlagerungen von durchsichtigen und kompakten Farbflächen, von raschen Linienschwüngen und breiten Formbahnen, dazwischengeschaltet zeichnerische Momente und schwingende Verläufe, mal heftig und ungestüm, dann wieder präzise und konzentriert gesetzt, kennzeichnen Heyls variable, gleichermaßen subtile wie energische Bildsprache. Zarte Überstreichungen treffen auf kraftvolle Ballungen, sensible Strukturen auf temporeiche Zersetzungen, feste Formen auf atmosphärische Verflüchtigungen. Ständig scheint alles in Bewegung, in einem Prozess der Wandlung und Transformation, des Wegnehmens und Neuschaffens, begriffen.

Dazu erklärt Heyl: „Die beiden Werkgruppen „Scherenschnitte“ und „Malerei“ sind mehrfach miteinander verbunden. Zunächst durch den Bildträger Papier, der in den bildnerischen Prozess immer einkalkuliert ist. Auf allen Bildern ereignet sich Malerei, teils in vielfachen Überlagerungen von pastosen und lasierenden Farbschichten. Das Formrepertoire ist meist ähnlich: teilweise komplexe Geflechte aus sich durchdringenden Gittern, Bändern, schlauchartigen Formen eingehüllt von Blasen und Geweben. Und immer wieder ein klarer und unmissverständlicher Eingriff. Durch eine klärende Kante oder einen scharfen Schnitt.“

Bevorzugt gibt Heyl seinen Werken sprechende Titel mit einem poetisch erzählerischen Unterton wie etwa „Unbemerktes Ereignis“, „Leicht will ich‘s machen“ oder „Spontane Behauptung“. So eröffnen sich dem Betrachter assoziationsreiche Zugänge zu dem Gezeigten, bieten sich emotionale Denkräume an, die uns in weiterreichende Gefilde der Imagination, des Rätselhaften und des Mehrdeutigen entführen, in dem die inhaltliche Lesbarkeit stets offenbleibt. Seine spontan verliehenen Titel versteht er als „sprachlich-informelle Assoziationsangebote“, die uns durchaus auch irritierend begegnen dürfen.

In den neuen Arbeiten forciert Heyl bewusst die Verzahnung von Malerei und Scherenschnitt. Malerische Elemente finden zunehmend Eingang in die Papierschnitte, herausgelöste Freistellen werden Bestandteile der Gemälde, wobei bei Letzterem nun das Reissen von Hand den Vorzug vor dem Cutter erhält. Mittels der besonderen Kombination von Riss- und Pinselduktus ereignen sich transparente Spannungsmomente zwischen Fläche und Farbe, Licht und Raum.

Die der ursprünglichen Komposition entrissenen Partien nennt Heyl auch „Auslöschungen“ und erklärt: „Hier soll die Assoziation „Auslöschung“ bewusst angebahnt werden. Das Weiß des Negativraums im Scherenschnitt ist also aktives Volumen und dann wieder „Loch“, wie von einem Photoshop-Werkzeug überschrieben.“ Heyl sucht den imaginären Raum hinter den Dingen; mit gleichsam spielerischer Improvisation, spontan wirkender Intuition, rückt er den Papierflächen zu Leibe und schneidet, schält aus den Farb- und Schwarzgründen Leerräume heraus, tilgt damit das zuvor Dagewesene und belässt das Ausgeschnittene, Weggenommene als grell aufscheinende Leerstelle, die wiederum in Dialog tritt zu den umgebenden Farbflecken und Hell-Dunkel-Strukturen, die sie zu überdecken scheint. Und so wird unser Auge zum Hin- und Herspringen zwischen Bildträger und Formsetzung animiert.

In Thomas Heyls Bildschöpfungen, seien es die Papierschnitte oder die Malereien, eröffnen sich dem Betrachter ungeahnte Bildräume. Die Kompositionen können auch als bildnerische Versuchsanordnungen gedeutet werden, in denen Heyl Zustände des Malens durchspielt. Ja, der Vorgang des Malens an sich scheint das eigentliche Thema der Bildfindungen zu sein. Ebenso hinterfragt er unsere Wahrnehmung, unsere Sinneseindrücke beim Betrachten von Flächen und Farben, von Linien und Strukturen, wobei das Eindeutige immer schwer fassbar bleibt. An diesen Schnittstellen ist seine Kunst auch und vor allem eine Schule des Sehens!

Dr. Andreas Gabelmann